410 Stahlplatten für das Bergson Kunstkraftwerk

Aus einer früheren Industrieruine entstand ein multifunktionaler Veranstaltungsort mit Konzertsaal,
Jazzclub, Event- und Galerieflächen sowie Gastronomie. Brüll + Gruber steuerte die Stahlplatten-Verkleidung
für ein Raum-im-Raum-Konstrukt bei, den sogenannten Kubus.


Bergson Kunstkraftwerl Aussansicht
Die klassizistische Ziegelfassade der Kesselhalle des ehemaligen Reichsbahn Heizwerks von 1940 – heute original restaurierte Hülle für ein modernes Kulturzentrum. Foto: ©Heinz-Jürgen Kruppa

April 2024 öffnete im Münchner Stadtteil Aubing das „Bergson Kunstkraftwerk“ seine Pforten. Herzstück des neuen Kulturzentrums im Münchner Westen ist die ehemalige Kesselhalle mit einer beeindruckenden Deckenhöhe von 25 Meter. Für dieses Atrium entwarf der Architekt Markus Stenger einen Kubus – eine Art Raum im Raum – in dem Gastronomieküche, Technik- und Sanitärräume untergebracht sind. Für den gemauerte Kubus fertigten wir eine Verblendung aus insgesamt 410 Stahlplatten, die die Industrie-Ästhetik des weitgehend original belassenen Innenraums aufnimmt und weiterführt.

Bergson Kunstkraftwerk Atrium Uebersicht
Im Übersichtsbild erschließt sich die Raumweite des Atriums. Der schwarze Kubus springt im Raum hervor und bildet einen Ankerpunkt im Raumgefüge. Die seitlich anschließende Treppe zur „Beletage“ genannten Oberseite fungiert auch als Sitzgelegenheit. Oben läuft ein Galeriegang rundum. Foto: ©Bergson/Sebastian Reiter

Bergson Kunstkraftwerk Atrium und Beletage
Die Seitenansicht zeigt links die bespielbare Beletage, die Oberseite des größeren Kubus. Hier finden auch ganze Qrchester samt Publikum Platz. Der schmalere Einzelkubus rechts beherbergt unten die Bar und oben eine Art DJ-Kanzel für Tanzveranstaltungen. Separiert sind die Kuben durch einen gläsernen Durchgang. Foto: ©Bergson/Sebastian Reiter

410 Stahlplatten für das Bergson Kunstkraftwerk

Die kathedralenartige Kesselhalle enthielt im Urzustand noch drei alte Heizkessel. Für genau diese Stelle entwarf der Architekt einen etwa sechs Meter hohen und zwei geteilten Kubus. Stenger erklärt: „Der vorne stehende, separate Barkubus gibt genau die Größe eines Kessels wieder – Erinnerungskultur. Die anderen beiden wurden im übertragenen Sinn ‚zusammengefasst‘ und erweitert und bilden das neue Volumen der Großküche, die alle gastronomischen Flächen versorgt. Aus den Heizkesseln sind Küchenkessel geworden.“
Zu ergänzen wäre noch, dass der vordere Kubus innen einen Medientechnikraum beherbergt und die Plattform oben universell als DJ-Kanzel und als Szenenfläche genutzt werden kann. 
Verblendet haben wir die gemauerten Kuben mit Schwarzstahl, der auch Designstahl genannt wird. Für die gesamte Verkleidung des Kubus fertigten wir rund 410 Stahlplatten in unterschiedlichen Größen. Diese Blechverkleidung bringt es bei einer Fläche von 780 Quadratmeter auf rund 20 Tonnen Gewicht! Auch für uns kein Pappenstiel.

Die frühere Kesselhalle wurde nur behutsam entkernt. Einbauten, wie die Kohleschütten (oben rechts) wurden belassen. Der dunkle Kubus fasst Technikräume, Gastronomieküche und Sanitärräume kompakt zusammen. Oben auf der Beletage sitzt ein Kran, genauer Teleskoparbeitsbühne, womit schwere Gegenstände, wie Klavier, nach oben gehievt werden können. Der vordere Kubus beherbergt die Bar. Foto: ©Heinz-Jürgen Kruppa
Bergson Atrium Kubus mit Bar
Verkleidet wurde der Kubus mit Schwarzstahlplatten mit gewachster Oberfläche
Bergson Kunstkraftwerk Kubus mit Bar
Der bewusst belassene Abbrand und die Oxidschicht erzeugen eine lebhafte Oberfläche

Wissen: Designstahl ist gezunderter Schwarzstahl

Der sogenannte Schwarzstahl bezeichnet Stahl in seinem natürlichen Zustand ohne weitere Bearbeitung oder Legierung. Daher verbleibt der beim Herstellungsprozess immer entstehende schwarzblaue Zunder und Abbrand auf der Oberfläche erhalten. Durch diese Oxidschicht, die wie Wolken oder Ausblühungen aussieht, erhalten Bleche eine individuelle Optik und sind quasi ein Unikat.
Bei entzundertem (Edel-) Stahl wird diese Schicht entfernt. Die Farbe von Schwarzstahl-Blechen ist auch vor der Dicke abhängig. Bei 1 bis 2 mm erscheinen die Bleche eher hell, ab 3 mm wirken sie dunkel bis anthrazitfarben. Für den Kubus kamen dunkle 3 mm Bleche zum Einsatz. Unbehandelter Schwarzstahl ist rostanfällig. Als schützende Oberflächenbehandlung unterzogen wir alle Stahlbleche einer versiegelnden Wachsung.

Unterkonstruktion für die Stahlplatten im Bergson Kunstkraftwerk

Eine Stahlplattenverblendung wie im Bergson Kunstkraftwerk bedarf einer Unterkonstruktion an der die Blechplatten verschraubt werden. Planung und Konstruktionszeichnung wie auch Montage übernahm die Firma Lindner Fassadenbau. Nach deren Plänen fertigten wir die Kantbleche der Unterkonstruktion – ebenfalls aus 3 mm gewachsten Schwarzstahl. Auch für jede einzelne Platte gab es eine Zeichnung, nach der das Blech von uns gelasert, gekantet und gebohrt wurde. Doch nicht alle Platten sind plan. Einzelne Bereiche besitzen einen ovalen oder runden Grundriß. Hier mussten die Blechplatten im exakten Radius passgenau nach Zeichnung gebogen werden. Insgesamt wurde eine Fläche von rund 780 Quadratmeter mit Stahl verblendet.
Bergson Kunstkraftwerk Kubus Stahlplatten mit Inbuskopfschrauben befestigt
Rund 8000 Inbuskopfschrauben wurden zur Befestigung benötigt.

Bergson Kunstkraftwerk Kubus Rohbau
Auf dem gemauerten Rohbau des Kubus wurden die Kantbleche der Unterkonstruktion befestigt. Sie überziehen das Mauerwerk wie ein Gitter. Da sowohl die Bohrlöcher an den Kantblechen wie auch die der entsprechenden der Platten vorab gebohrt werden, kommt es auf exakte Pläne und hochpräzise Ausführung an. Bei der Montage muss dann alles millimetergenau passen. Foto: ©Martin Schnitzer


Bergson Kunstkraftwerk Atrium Durchgang mit Stahlplatten verkleidet
Auch Durchgänge und Innenräume für den Publikumsverkehr sind mit gewachsten Schwarzstahlplatten verkleidet
Bergson Atrium Zugang Toiletten mit Stahlplatten verkleidet
Ovale oder runde Grundrisse, benötigen gebogen Stahlplatten. Blechbiegung nach Zeichnung erfordert hohe Fertigungspräzision

Schwarzstahl im „industrial context“

Bei Interieur-Designern und Architekten ist Schwarzstahl ein beliebtes Material. Architekt Markus Stenger begründet die Materialwahl für den Kubus: „Wir kennen das Material sehr gut und arbeiten schon lange mit Schwarzstahl, wenngleich nicht in solchen Dimensionen wie hier. Uns geht es um Materialwertigkeit und die Fähigkeit der Patina, eines Alterns durch Nutzung in Würde. Das Material ist zudem absolut robust und kann den Ansturm Hunderter Besucher täglich meistern. Es hat durch das nicht final kontrollierbare Wachsen eine bewegte Oberfläche. Keine Platte sieht aus wie die andere. In diesem großen Raum braucht es eine Materialität, die einen Bezug zum industrial context herstellt. Deshalb haben wir starke, pflegeleichte, widerstandsfähige Materialien eingesetzt“.

Lebendigkeit gewachster Oberflächen

Die farbliche Tönung des gewachsten Schwarzstahls ist im Bergson Kunstkraftwerk auch von der Umgebung abhängig: Einerseits vom Tageslicht(-einfall), andererseits auch von der Farbe des Bodens. In beiden Fällen spielt Reflexion eine Rolle. Beim Bodenbelag entschied sich der Architekt für BituTerrazzo. Dieser geschliffene Gussasphalt-Nutzestrich kann durch die Wahl seiner Bestandteile bzw. Zuschlagstoffe (Steine, Metallgranulate o.ä.) in Farbe und Struktur variiert werden. So wird der dunkelgraue, aber durchaus lebendige Boden von den Metallplatten matt reflektiert, was den Kubus noch etwas dunkler erscheinen lässt. Die monolithischen Kuben strahlen durch ihre Kantigkeit und dunkle Farbe Autorität aus. Sie erschlagen Betrachter aber nicht durch übermäßige Schwere, weil die lebhafte Oberfläche des Schwarzstahls eine ehrliche Materialität vermittelt. So sammelt sie Sympathie. Die architektonisch kühne Setzung eines dunklen Blocks kommt als ästhetische Geste ohne Design-Huberei aus. Eine perfekte Lösung, die das Erleben der Raumweite nicht gefährdet, aber alles (technisch) Nötige zusammenfasst und unterbringt.

Brüll + Gruber freut sich, dass wir zu diesem spannenden kulturellen Projekt mit unserem Metalldesign etwas beitragen durften. Oberflächenbehandlung von Metall gehört zu unseren Spezialgebieten. Dass Metallverkleidungen, zum Beispiel mit Messing, im konventionellen Sinn auch „wohnlich“ wirken können, zeigt → dieses Beispiel.

Weitere interessante Berichte und Links zum Bergson finden Sie gebündelt auf der Website des Architekturbüros: → Stenger2.

Infos zur Historie und Entstehungsgeschichte des Kunstkraftwerks (unter „about“) sowie das aktuelle Veranstaltungsprogramm gibt es auf deren Website : → Bergson.

Das Bergson Kunstkraftwerk liegt an der Bergson-Straße. Für beide ist der französische Philosoph und Literat Henri Bergson Namenspatron.

Bergson Atrium Kubus Seitenansicht
Bergson Kunstkraftwerk Atrium Kubus
Über den gläsernen Durchgang zwischen den Kuben erreicht man den Gastronomie-
Bereich auch von außen, für den Fall, dass im Atrium gerade ein Konzert stattfindet.
Foto: ©Heinz-Jürgen Kruppa